Freitag, 4. November 2011

Der Mann im Zug

Unsere Geschichte begann im Februar 2008 im Zug von Uster nach Stettbach. Es ist eine Geschichte der leisen Töne, unaufdringlich aber verlässlich.


06:41 Uhr, S9, ab Uster. Das ist "mein" Zug zur Arbeit. Eigentlich ist es ja nicht nur "mein" Zug, es ist eben auch noch "sein" Zug. Er, schätzungsweise zwischen 55 und 60, sitzt mit mir, oder besser gesagt ich sitze mit ihm - er war zuerst da! - seit meinen Pendleranfängen jeden Montag und jeden Dienstag im selben Zug-, ja sogar im selben Viererabteil.

Das erste halbe Jahr haben wir uns nichts zu sagen gehabt, aber sicher haben wir beide die stillschweigende Vertrautheit unserer viertelstündigen Zugfahrt geschätzt. Gewohnheiten schaffen eben Vertrauen. Als ich dann im Sommer nach einer siebenwöchigen Arbeitspause, die ich als Prüfungsvorbereitung und für Ferien genutzt habe, wieder um 06:41 in Uster in unser Abteil stieg, sprach er mich aus heiterem Himmel an! Ob mir denn etwas passiert sei, ob ich einen Unfall gehabt hätte, also er sei schon froh, dass ich wieder hier sei, so fit und munter. Nein, sagte ich, und so kamen wir ins Gespräch...

Die Monate vergingen, mal hatten wir mehr zu berichten mal weniger. Er hat mir jeweils von seiner Arbeit erzählt und von seiner Familie und ich habe ihm von meinem Studium berichtet. All die Monate, ja sogar Jahre, war er für mich ein verlässlicher Wert, morgens, 06:41 in der S9 ab Uster.

Diesen Sommer dann, als ich dann auf der Zielgerade meines Studiums war, wurde ich nachlässiger, habe es nicht immer um 06:41 auf den Zug geschafft und somit ihn auch nicht mehr so regelmässig gesehen. Irgendwann haben wir uns dann gar nicht mehr gesehen. Von da an fuhr ich ganz alleine von Uster nach Stettbach, keine frühmorgendlichen Gespräche mehr.

Diese Woche habe ich ihm eine E-Mail geschrieben, gefragt, ob es ihm gut gehe, wo er denn verblieben sei, ob er den "Fahrplan" gewechselt habe und dass ich unsere gemeinsamen Zugfahrten vermisse. Umso mehr habe ich mich über seine rasche Antwort gefreut:

"Ihr Brief hat mich überrascht und riesig gefreut und das hat durchaus seine Gründe.

Erstens hat er mich gerade einen Tag nach meinem Geburtstag erreicht. Zweitens denke ich öfter an Sie und unsere gemeinsame Wegstrecke und frage mich, wie es ihnen wohl gehen mag? Und drittens habe ich, gerade an meinem Geburi, am Morgen früh beim Einsteigen ins S9-Abteil geschaut und überlegt ob ich ihnen mal schreiben soll. Jetzt sind sie mir zuvor gekommen... vielleicht Gedankenübertragung...? 
Es interessiert mich, wie ihr Abschluss noch verlief und wo ihr Lebensweg sie hin führt.

Ich starte immer noch auf derselben S9 um 06.41h, nur - da ich sie nach dem Studium nicht mehr im Zug erwartete - steige ich nicht mehr im selben Abteil ein.  
Mir geht es recht gut und es gäbe einiges zu berichten, was in der Zwischenzeit noch so gelaufen ist. Ich würde mich freuen, wenn wir uns mal treffen könnten, um zu berichten und auch Ihr Diplom etwas zu feiern.

Nochmals vielen Dank für ihr nettes Lebenszeichen."

Gern geschehen, lieber Mann im Zug, ich freu mich auf ein Wiedersehen!




2 Kommentare:

  1. Soooo schön, das ist ja fast wie im Film, befor sunrise oder so, ich will auch eine solche Bekanntschaft, die dann aber in einer heissen Liebesromanze enden darf, villeicht sollte es einfach kein Mann sein und auch ein bisschen jünger wär auch nicht schlecht...jedenfalls Danke für diese Geschichte, ich glaub wieder an das Schicksal der Liebe! Liebe Grüsse kultsurfer

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  2. Ich kann mich kultsurfer nur anschliessen und lobe dazu noch dein Schreibtalent. Toll! Herzlich, Mirjam

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